Reife Burgunder zu trinken ist ein Abenteuer von Anfang an. Es beginnt mit der Suche nach der perfekten Flasche. Eigentlich ist es weniger eine Suche, sondern eher Zufall. Wenn auf Proben oder bei einem Dinner ein bedeutender Wein auftaucht, beginnt mein Herz zu klopfen. Wie wird er diesmal sein, wohin wird die Reise gehen, ist uns das Glück gewogen?
Unser Wein changiert (je nach Charge und Lagerung) zwischen (beinahe) aufdringlichem Kräuter-Flair und edelster Komplexität. Während der Entkorkung und Aufbereitung könnte man also an Friedrich Nietzsche denken, der nicht nur ein eindringlicher Philosoph, sondern auch ein zarter Poet war. Also spricht unser Musigny: „Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Bäume: doch wer sich vor meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhänge unter meinen Zypressen.“ Einmal fand ich sie, die besungenen Blumen hinter dem würzigen Flair, schloss die Augen und versank in einen Traum von paradiesischer Süße, die gleichzeitig nach Schokolade, Marzipan und Blüten schmeckte. Alles schwebte voll Leichtigkeit wie ein Windgebäck aus Ambrosia; da war nichts Klebriges, Marmeladiges oder Schweres, einfach nur transzendente Süße und Klarheit!
Wie sehr hätte Nietzsche eine solche Katharsis gebraucht. Sein kränkelnder Körper, ständig gepeinigt von Rheuma und Migräne, habe die verlogene Moral stärker gespürt als andere Menschen (Alice Miller). Ob er nun weinte (zumindest fiktiv nach Irvin Yalom, als er seine Einsamkeit als Preis der Freiheit erkannt habe) oder vollmundigen Nihilismus predigte (Gott ist tot), kaum jemand scheiterte so großartig und sprachgewaltig. Der beschworene Wille blieb letztlich völlig machtlos gegen seine Umnachtung, die elf Jahre dauerte, bevor er in der Villa „Silberblick“ (!) zu Weimar Erlösung fand. Schade nur, dass mein (burgundischer) Traum nicht ewig währte. Aber vergessen werde ich ihn nie!