1994 Harlan Estate Oakville – Napa, Kalifornien

Er ist makellos jung, kraftvoll und frisch, gestützt durch Säure und Mineralität, hat große mundfüllende Dichte, aber nichts Schwerfälliges. Das anfangs zurückhaltende Bouquet entfaltet sich geruhsam und verspielt: Da sind Weichsel, Vogelkirsche, Vanille, Würze und aufkeimende Floralität, die sich mit der Flaschenreife weiter verstärken sollte. Dieser Wein ist wie die epische, aber niemals arkadische amerikanische Wildnis, beinahe tragisch schön in ihrer archaischen Präsenz.

Bei näherer Betrachtung finden wir das Besondere: etwa einen „El Greco“- Horizont wie in seinem Spätwerk „Laokoon“. Der Abgang unserer Essenz ist so endlos wie die Leiber, die Domínikos Theotokópoulos (so der bürgerliche Name von El Greco) maßlos verlängerte. So wie Athene die Mahnungen des trojanischen Priesters zum Schweigen brachte, damit das Danaergeschenk (als Synonym für kluge, freche Innovation) seine Wirkung entfalte, zeigt unser Harlan dramatisch klar, dass Cabernet nicht nur am linken Ufer der Gironde die größte Brillanz erlangt.

Es liegt wohl an der Bodengeologie, die auf kleinstem Raum hunderte verschiedene Zusammensetzungen aufweist und selbst für junge Weinstöcke ein unerschöpfliches Füllhorn ist. Mit dem Dichter Góngora y Argote sollten wir zum 400. Todestag des geheimnisvollen Malers, am besten in Toledo, das Glas mit unserem passenden Wein erheben: Hier ruht El Greco, dem Göttin Natura die Kunst, Iris die Farben gab, Phöbus das Licht – doch Morpheus nicht die Schatten. El Greco verknüpfte seinen „Laokoon“-Mythos mit dem aeneischen Untergang Trojas. Vielleicht gedenken wir daher auch noch des Kaisers, der vor genau 2.000 Jahren am 19. jenes Monats starb, dem er seinen Namen gab. Während der Pax Augusta gelangte die lateinische Dichtkunst mit Horaz, Ovid und Vergil zur Blüte und inspirierte das Abendland auf niemals wieder erreichte nachhaltige Weise. Cheers! Enthält Zitate von Nabokov und Revel.