Mit dem epochalen Jahrgang 1982 begann im Bordelais eine neue Zeitrechnung.
Seit dem exzellenten Jahrgang 1961 waren bis 1982 mehr als zwanzig Jahre vergangen. Abgesehen von einigen Einzelleistungen überwog in dieser Zeitspanne das Mittelmaß. Auch wirtschaftlich tümpelten die Betriebe dahin. Dann meinten es die Götter wieder gut: 1982 war ein großer Jahrgang für alle Appellationen und brachte zudem eine reiche Ernte (wie etwa auch 1959).
Ein unaufhaltbarer Aufschwung begann. Auf der exzellenten Homepage von Château Margaux lesen wir etwa: „To find a previous vintage of comparable quality, we have to go back to 1961. The 1982 vintage can therefore be considered as the first representative of a new generation of wines which are enjoyable to drink in their youth but which lose none of their ability to age a long time.“
Waren Primeurs Crus in der Subskription vor 30 Jahren noch um damals öS 700,– (€50,–) erhältlich, so mussten 2010 bereits mehr als € 1.000,– investiert werden. Lafite 1982 ist selbst im Glücksfall nicht unter € 2.000,– zu haben. Geldwertbereinigt bedeutet dies, dass sich die Subskriptionspreise in Spitzenjahren in drei Jahrzehnten verzehnfacht haben; die begehrtesten Weine haben ihren Wert seit der Ernte verzwanzigfacht. Welche Aktie und welcher Sachwert kann da mithalten!?
Ideale klimatische Bedingungen
Die Blüte verlief 1982 bei trockenem, idealem Frühsommerwetter, wodurch die Grundlage für den großen Ertrag geschaffen wurde. Nach dem überdurchschnittlich heißen Juli verlief der August kühler als normal. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren die Erzeuger mehr als zufrieden. Erst im September wurde aus dem zu erwartenden großen Jahrgang ein Jahrhundertereignis: Während einer dreiwöchigen Hitzeperiode stieg der Zuckergehalt der Trauben massiv an.
Bis zur Ernte gab es während der Vegetationsperiode etwa im Graves 16 Tage über 30°C und eine sehr geringe Niederschlagsmenge von 400mm, wobei ein guter Teil bei einem Gewitter im Juni fiel. Am 8. Juli wurden auf Haut-Brion über 40 °C gemessen. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen entsteht meist nur dann ein großer Wein, wenn er in einem Zeitfenster zwischen Mitte September und Mitte Oktober geerntet wird; dies war auch 1982 der Fall (Erntebeginn z.B. auf Margaux 20. September, auf Haut-Brion 15. September). Erfahrungsgemäß ist auch geringer Niederschlag qualitätsfördernd. In der jüngeren Weingeschichte gab es in Bordeaux nur eine Ausnahme, als 1996 nach heftigen Güssen im September ein Weltklasse-Cabernet Sauvignon heranreifte. Wie auch andere gute Jahrgänge zeigen, verträgt der Cabernet Sauvignon in der Phase vor der Ernte am ehesten überdurchschnittlichen Regen.
Weinanalyse
Bei Analysen bin ich immer skeptisch, da Parameter wie Säuregehalt, Tannine etc. nicht abschließend aussagekräftig für die Qualität und das Potenzial der Weine sind. Erfreulicherweise ist Wein immer noch ein Mysterium, der sich, wie auch andere Lebensbereiche, nur dem aufmerksamen, geduldigen Liebhaber erschließt. 1982 war der konzentrierteste und extraktreichste Wein seit 1961 und mit einem relativ geringen Säuregehalt ausgestattet. Unmittelbar nach der Ernte wurden skeptische Stimmen laut, die allerdings übersahen, dass auch andere herausragende Jahrgänge wie etwa 1959 oder 1961 analytisch keine höhere Säure aufwiesen.
Inzwischen wissen wir, dass ein niedriger Säuregehalt im Bordelais kein Defizit ist; so haben die Jahrgänge 1989 und 1990 noch geringere Säuregrade und höhere pH-Werte. Zuletzt ging bei einer Blindverkostung von zwanzig „100 Punkteweinen“ in Wien Château Margaux 1990 als Sieger hervor, der geradezu dramatisch niedrige Säurewerte hat. Als bedeutend wichtiger erachtet die Wissenschaft die Tannin-Reife. Sie ist wohl das Maß aller Dinge beim Rotwein, da sich unreife Tannine nicht spürbar weiterentwickeln und nur durch die Evolution große, gereifte Weine entstehen. 1982 war das Tannin massiv, aber auch sehr reif.
In den Folgejahren, vor allem 1986, 1989 und 1990, entstanden Weine mit noch höherem Tannin. Während viele Weine aus 1986 derzeit verschlossen wirken (vergleichbar mit 1961 nach einer Entwicklungsphase von 25 Jahren, der Jahrgang offenbart seine wahre Größe jetzt nach einem halben Jahrhundert) und unbedingt noch gelagert werden sollten, zeigen sich die 1982er weitestgehend trinkreif.
Auf dem Zenit
Die größten Weine aus 1982 haben sicher noch Potenzial nach oben (z.B. Mouton, Latour, aber auch Léoville Las Cases). Erfreulich für den Weinliebhaber ist, dass auch kleinere Châteaus und auch Zweitweine gerade exzellent sind. Ein derartiger Genuss ist mit ca. €100,– oder auch darunter wohlfeil, wobei allerdings auf die Provenienz der Flaschen geachtet werden muss.
Das Geschmacksprofil der Weine hat sich weit aufgefächert und kann nicht in einen Topf geworfen werden. Vor allem mittelgewichtige Weine stellen sich heute oft fulminant elegant dar und beweisen, dass die Bedingungen des Jahrganges begnadet waren und man kaum etwas falsch machen konnte. Die Kellertechnik garantierte eine saubere und lagerfähige Produktion. Bei Blindverkostungen kann man den Jahrgang oft an der besonders würzigen (manchmal sogar leicht ins Vegetabile gehenden) Ader erkennen, die aber nicht „grün“ wirkt.
Ausblick für die größten
Weine An der Spitze stehen für mich der geradezu in anderen Dimensionen schwelgende Mouton, der zeitlose und noch seiner weiteren Entwicklung harrende Latour (ein Dorian Gray unter den Weinen) und der extravagante Lafleur, bei dem sich allerdings die Geister scheiden. Der oft gefälschte Lafite (Prestigewein für ganz Asien!) ist meines Erachtens wohl deutlich dahinter anzusiedeln. Pichon Comtesse ist leider etwas uneinheitlich: Von großartigen Flaschen mit einem „Cassis-Flash“ bis hin zu relativ weit entwickelten Flaschen mit Tabak-Tertiär-Aromatik ist alles zu finden. Es wird sich weisen, ob der Jahrgang so lagerfähig ist wie 1945 oder 1961. Ausgenommen einige wenige Weine, gibt es zwar keinen guten Grund zu warten, da alles im erfreulichsten Bereich genussfähig ist; die besten Weine werden uns aber sicherlich noch in 20 Jahren mit noch größerer Komplexität, zu Lasten der „Straffheit“, erfreuen, in Würde alternd wie im Idealfall auch der menschliche Körper und Geist.
Bordeaux 1982.pur
Sämtliche Weine wurden vom Autor Wolfgang Kiechl großteils in den vergangenen fünf Jahren teilweise mehrfach verkostet und bilden einen Querschnitt zum Jahrgang 1982 ab. Die Weine sind in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet.
Château Beychevelle: Johannes- und stachelbeerig, saftig, aber etwas deftige Mokka-Röstaromen. Nicht allzu körperreich. Trinken!
Château Bourgneuf Voray: Eine Überraschung aus Pomerol: Schwarze Olive.pur! Vielfältiges Aromenspektrum: Mokka, Mandarinenschale, Zedernholz, sogar Orchideen-duftig. Komplex. Buttrig. Immer wieder aufsteigende Humus-Töne. Trinken!
Château Cheval Blanc: Opulente, schmeichelnde Süße: Weiße Schokolade! Dabei erdig und bodenständig. Integrativ und balanciert. Relativ verschlossen und nicht so opulent wie der 59er oder so komplex wie der 61er (Menthol, Minze). Lagern!
Château Clos du Marquis: Zweitwein von Léoville Las Cases. Perfekte Reife. Idealer Trinkzeitpunkt. Saftige, ausreichend dichte Struktur. Cassis und edle „GrasAromen“. Eine sehr angenehme CabernetAusformung mit vegetabilen Bestandteilen, die aber keinesfalls grün sind. Trinken!
Château Ducru Beaucaillou: Vielschichtige, komplexe Nase: Brombeere, Rauch-Ton, später sogar Rote Rübe. Saftig, animierend, verspielt. Trinken!
Château Figeac: Infolge seiner seidigen Struktur ein feiner, hedonistischer Genuss. Auch wenn er nicht allzu komplex ist, wirkt er sehr elegant und verspielt. Im Kern dominiert noch eine primärfruchtige Himbeer-Note. Trinken!
Château Gruaud Larose: Hier fallen zuerst die Röstaromen auf: Kaffee, dann Zedernholz. Dann balsamische StallAromen. Wirkt schmeichelnd und rund. Gefällig. Trinken!
Château Haut-Brion: Kirsch-Töne, erdige Noten, ein Hauch von Ammoniak. Beachtliche Struktur. Harte Tan nine, hohe Säure, ausbalanciert durch Extraktsüße. Die Mineralität steigt im Glas langsam auf. Nicht explosiv, fast verhalten. Braucht noch Zeit! Lagern!
Château La Dominique: Aromatisch, exotische Anklänge. In der Balance, aber höchstens mittelgewichtig. Trinken!
Château La Mission Haut-Brion: Perfekte Balance. Die Tannine sind bereits in ein sehr reifes Stadium eingetreten. Süßer, labender, harziger Ton. Große Fruchttiefe und Nachhaltigkeit. Braucht Aufmerksamkeit. Derzeit allerdings in einer „verschlossenen“ Phase. Kurz lagern!
Château Lafite: Feine, filigrane Nase: Schwarztee-Kern. Herrliche, elegante Balance. Säuredruck – reife Tannine – Mineralität. Saftig, karamellisierend! Der letzte Druck fehlt mir. Lagern oder trinken – das ist hier die Frage!
Château Lafleur: Ein gewaltiger Wein: hedonistisches Flair. Zuerst Kirschlikör und Rote Ribisel, enorm druckvoll, dabei aber elegant. Später Exotik und geheimnisvolle florale Wolken. Sahnig zum Niederknien. Erst zum Schluss Pomerol-Süße nach Himbeeren! Großartig, hat aber noch Jahrzehnte. Länger lagern!
Château Latour: Ein Erdton verschwindet erst nach einer Stunde aus dem Glas. Zuerst ein (strenger) vegetabiler Ton, später Stachelbeere, Eichenholz, komplexe Rotbeerigkeit, nachher Rosenduft. Dabei rauchig, grüne Nüsse. Harte Tannine. Kein Hauch von Alter. Weit vor dem Höhepunkt! Länger lagern!
Château Léoville Las Cases: Starke Cabernet-Aromatik. Wirkt verschlossen und braucht noch Luft. Steht enorm im Glas. Hat noch Potenzial nach oben. Preiselbeere, Karamell-Ton. Saftig, harmonisch, labend. Lagern.
Château Léoville Poyferré: Mittelgewichtig. Ins grasig gehende CabernetAromen. Interessant, aber etwas holprig. Zenit überschritten. Trinken!
Château Lynch Bages: Würzig-vegetabiler Grundton, hier etwas extrem ausgeprägt. Tertiäre „Stall-Aromen“ und Balsamik. Trinken!
Château Margaux: Unverbrauchtes Rubinrot mit ziegelroten Rändern. Unverschämt frisch. Mineralische Feuerstein-Töne. Tabak-Würze, bissig, salzig, kernig, vibrierend, dabei sehr „präzise“. Komplexität steht (noch) vor Eleganz. Verliert nach längerer Glasoxidation. Trinken!
Château Mouton: Ungemein rassig und jugendlich, verführerischer und explosiver als alle anderen Châ- teaus. Cremig, schwelgend in noblen Röstaromen: spezielles, tiefes Arabica-KaffeeAroma! Nuancen von Zedernholz, Goudron (Holzkohle!), Beeren-Confit und exotische Anklänge (Kokos, Minze). Lagern (vgl. Quint. essenz in wein.pur 4/2012)!
Château Pavie: Geradlinig, dabei eindimensional. Johannisbeere! Mittlerer Körper. Trinken!
Château Petrus: Da gibt es, auch nach Meinung anderer Autoren, wesentliche Flaschenschwankungen. Meine Flasche war nicht optimal: sehr würzig, aber stark ins Vegetabile abgleitend. Zwar durchaus vielschichtig, aber keine opulente barocke Pracht. Trinken!
Château Pichon Comtesse de Lalande: Ein legendärer Wein! Schmeichelnd-hedonistische Nase. Im Idealfall süßes Cassis. Zedernholz unterlegt mit feinblättriger Tabak-Würze. Animierende Eleganz. Allerdings extreme Schwankungen bei den Flaschen (fassweise Füllung?). Zuletzt hatte ich zwei nicht ganz perfekte Flaschen, die schon tertiär geprägt waren. Trinken!