Im Kino: Der Delinquent wählt seine Henkersmahlzeit und ich frage mich zur Ablenkung von all den Abgründen, welchen Wein ich jetzt als Letzten trinken wollte. Er muss mich vom Scheitel bis zur Sohle ausfüllen und gleichzeitig das Unsterbliche beflügeln. Einen reifen Sauternes, süß wie Thanatos, vielleicht?
Nein, rien ne vas plus: Mein Wein-Gedächtnis gibt einen Portwein frei. Er packte mich mit seiner einzigartigen Konzentration, hob mich zur Geisterstunde nach endlosen Verkostungen zum krönenden und unerwarteten Abschluss in andere Sphären, ohne mich mit brandiger Alkoholsüße zu erschlagen. Die oft gerühmte Weichheit von Portweinen, die meist nichts anderes als Fadesse ist, verschonte unseren Wein und mich. Die Wucht unseres „Single Vineyard“-Vintage ist nur verkraftbar, weil ihm die Tiefgründigkeit Balance gibt.
Die Aromenpalette wird von Weichsel-Essenz, Cassis, Beeren-Confit, Würze, Kaffee und rauchiger Mineralität geprägt und wird sich in den nächsten Jahrzehnten auffächern. Das ist der Stoff, der Todgeweihte tröstet und sediert; oder als „Riechwasser“ verwendet jene erweckt, in denen noch ein Lebensfunke blinzelt. Er läutert jedenfalls unseren Geist, ob wir ihn nun aushauchen oder nicht, und wir erkennen daher mit Mahatma Gandhi, wohin das viertausend Jahre alte Hammurabische Prinzip führt: Auge um Auge und die ganze Welt wird blind! Auch Albert Camus wusste, dass die Todesstrafe die einzige unbestreitbare Solidarität der Menschen zerstöre, nämlich die gemeinsame Front gegen den Tod.
Es ist zwar eine fiktive Front, aber ohne sie brechen viele Dämme. Die Würde des Todes als letzter Augenblick des Lebens ist unantastbar; selbst diese letzte Erfahrung lebt weiter, in der Erinnerung Angehöriger: „Es wird ein Tag zum Sterben, der unsre Herzen trennt; dein Bild fällt nicht in Scherben, das meine Seele kennt.“ (Gebhard Kiechl in „Fare-well“, www.lyrikportal.at)