Dieser stoffige, würzige Wein schwelgt in verspielter Saftigkeit. Dabei ist er wirklich „laut“ und erschafft Wolken voll Heublumen und Geranien, die reif, voll, expressiv und unwirklich heftig sind. Sollen wir ihn tadeln, weil er sich „ein wenig zu rasch und üppig in die Blume wirft“, wie Kleist seinen Prinzen von Homburg parlieren lässt?! Aber nicht doch! Hoffentlich konnte Heinrich von ähnlich Transzendentem kosten, bevor er im November 1811 zuerst die krebskranke A. Henriette Vogel und dann sich selbst im Gasthof „Neuer Krug“ am Wannsee erschoss. Es wäre ein makabrer Treppenwitz der Literaturgeschichte, wenn der Ort von ihm tatsächlich bewusst als „Postskriptum“ zur damals erfolglosen Komödie „Der zerbrochene Krug“ gewählt wurde (Harms, FAZ). Wie auch immer: „Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.“ Am Kleinen Wannsee „brachen“ die jungen Leben, am Großen Wannsee 1942 dann alle Dämme der Menschlichkeit. Die Teilnehmer der Wannseekonferenz schafften es mühelos, Kleist zu widerlegen, der an Adolphine von Werdeck schrieb: „Eine ganze Nation errötet niemals.“ Besser passt da eine andere Briefstelle: „Wo die Nebel des Trübsinns grauen, fliehen die Teilnahme und das Mitgefühl.“
Vor 70 Jahren lichteten sich die Nebel und gaben den Blick frei auf den (erfreulicherweise nicht 1.000 Jahre) vergesellschafteten Wahn einiger weniger (R. Safranski), aber auch auf die Erkenntnis, dass nur Frieden und ein ethischer Grundkonsens unsere Würde und Menschenrechte sichern. Diese Werte stehen in Kerneuropa, wenn auch nicht in der Peripherie, seither außer Frage. Erheben wir also das besondere, blumige Glas und erröten wir dabei. Was sonst sollten wir tun?! Seien wir dankbar, dass viele Menschen aus der Geschichte lernen: „Brich, o Sonne, brich hervor / Durch der Morgenröte
Flor!“ (Johann M. Miller)