Chianti ist im Bewusstsein vieler Weinfreunde der J. M. Simmel unter den Weinen: ein Begleiter zur Pasta und im Urlaub, meist trivial, aber nicht ohne Substanz. 73 Millionen Leser können sich nicht irren. Es muss nicht immer Kaviar im Schlafrock sein (eines der Rezepte im gleichnamigen Roman), aber vor 30 Jahren war ein „sauberer“, fehlerfreier Chianti nicht selbstverständlich. Der Jahrgang 1985 war in der Toskana ein Jahrhundert-Ereignis. Nach dem extrem harten Winter, in dem ein großer Teil der Olivenbäume erfror, war das Weinjahr ertragsreduziert und klimatisch exzellent; die Früchte der frühen Ernte verhalfen der ganzen Region nachhaltig zum Durchbruch.
Unser reintöniger Wein stützt sich auf ein Rückgrat aus Säure und Extrakttiefe; er vereint burgundische Eleganz mit mediterraner Würze und ziert sich mit einem Reifeton von Blutorange und Goudron. Der Schmelz des Tannins ist beinahe elysisch. Dazu sollte man „The Dark Side of the Moon“ hören. Als unser Wein wuchs, verließ der geniale Lyriker Roger Waters (So, so you think you can tell / Heaven from Hell / Blue skies from pain …) gerade „Pink Floyd“ und meine erste große Liebe Marion schrieb in Berlin auf eine für mich bestimmte Postkarte: „How I wish you were here.“
Für diesen Sangiovese gilt das Gegenteil der Ode an den blutjung dem Wahnsinn verfallenen Syd Barrett: „Remember when you were young, you shone like the sun.“ Unser Wein brauchte nämlich seine ungestörte Evolution, um mit all seinen schillernden Geschmacksfacetten am Gaumen zu explodieren wie die besungenen Edelsteine. Für die vergorenen Trauben in unserem Glas gilt, was William Turner, auch ein Meister der „Liquid Skies“, als Letztes gesagt haben soll: „The sun is God.“ Mike Leigh („Genie kann man nicht filmen“) zeigt uns in „Mr. Turner“, wie ein Mensch das Licht (ein)fängt. Cheers, shine on you crazy diamond(s)!