Château L’Eglise Clinet

Traditionellerweise sind Briten und Amerikaner das Maß der Bordeaux-Literatur (z.B. Broadbent, Sutcliffe, Peppercorn und nun Parker). Im 20. Jahrhundert und zuvor ließen die Kommentatoren das „rechte Ufer“ sprichwörtlich meist „links“ liegen. Dabei zählen die überschaubaren 800ha Anbaufläche der Gemeinde Pomerol (im Übrigen ohne offizielle Klassifizierung der Weingüter) qualitativ zu den weltweit bedeutendsten Terroirs für Merlot (80%, sonst noch Cabernet franc).

Die wundersame

Das dornroschenErweckung Das relativ kleine Château L’Eglise Clinet, das eher einem Gutshaus ähnelt, entstand in der heutigen Form gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Namensgebend war die Templerkirche von St. Jean. 1995 veranstaltete der Weinsammler Hardy Rodenstock eine Raritätenprobe, bei der auch Robert Parker anwesend war. Sechs Weine mit dem Etikett „L‘Eglise Clinet“ wurden seither mit hundert Punkten oder knapp darunter geadelt. An diesem Beispiel erkennt man den enormen Einfluss des „Weinpapstes“, der das Gut damit schlagartig für die große Weinwelt wach küsste.

Alte Stöcke

Herausragend ist jedenfalls das Rebstockmaterial des Gutes. Bei einem für die Region einzigartigen Durchschnittsalter von deutlich über 40 Jahren findet man gar Miniparzellen, die mehr als hundertjährig sind. Dies liegt daran, dass die Frostjahre 1987, 1985 und sogar das verheerende Jahr 1956 spurlos vorbeizogen. Ob es am Segen von St. Jean lag oder an der privilegierten Lage innerhalb des Ortsverbandes sei dahingestellt. Während alle anderen Güter roden und neu auspflanzen mussten, überstanden die hiesigen Reben jeden Frost.

Wenige hundert Meter weiter sah es bereits anders aus: Man sollte sich vergegenwärtigen, dass Château Petrus nicht einmal einen Kilometer Luftlinie entfernt liegt; dort musste 1956 die Hälfte der Weinstöcke neu ausgepflanzt werden! Der Boden besteht aus einer Mischung von Kies und Ton, die mit Sand und Eisenerde durchsetzt ist. Dadurch ist auch die notwendige Drainage gewährleistet. Im Unterschied zu Petrus ist kaum „schwarzer Lehm“ vorhanden. Eher vergleichbar ist die Bodengeologie mit Lafleur, da beide auf einem mineralstoffreichen Kiesbett situiert sind. Demnächst wird in diesem Magazin im Rahmen eines kleinen Pomerol-Schwerpunktes auch über Château Lafleur zu lesen sein.

Qualitätsmanagement.pur

Das dornroschen 1Wesentlich für die Qualität ist wohl auch, dass das Gut seit 1942 von nur zwei Besitzern bewirtschaftet wurde. Bis 1982 wurde es von Pierre Lasserre (vom flächenmäßig größeren Pomerolgut Clos René) geführt. Seit 1983 zeichnet Denis Durantou für die Weine verantwortlich.

Er konnte sich mit einer beachtlichen und kontinuierlichen Qualitätslinie etablieren und erzielt beachtliche Preise; so ist der Jahrgang 2009 mit ca. € 300,00 wohlfeil. Das liegt auch an der relativ geringen Menge; es werden nur bis zu 1.500 Kisten (also 18.000 Flaschen Wein) gefüllt. Auch Durantou hat erkannt, dass der Erntezeitpunkt (tagesgenau) wesentlich ist und hält daher für seine nur 4,5 ha (85 % Merlot, 15 % Cabernet franc) 30 Erntehelfer bereit, was im Verhältnis zur Größe den höchsten Qualitätsmaßstäben gerecht wird (der relative Aufwand ist durchaus vergleichbar mit Lafite).

Die Kellertechnik wird an den jeweiligen Jahrgang angepasst. Nach der 2- bis 3-wöchigen Gärung kommt der Wein für etwa 18 Monate in großteils neue Eichenfässer. Zuletzt wurde der Merlot-Anteil, zulasten des Cabernet franc, auf 85 bis 90% im Blend gesteigert. Interessant ist die vom Gut penibel geführte Statistik der Säure- und Alkoholwerte seit 1983.

Während die Säure mit rund 5,5 g/l (nach französischer Berechnungsmethode sind das 3,6g/l) praktisch konstant blieb, steigerte sich der Alkohol von ca. 13,0%Vol. (1983 bis 1999, ausgenommen die Hitzejahre 1989, 1990, 1998) auf mittlerweile rund 14,0%Vol. In den trockenen, heißen Jahren 2009 und 2010 waren es bereits 14,6 bzw. 14,7% Vol. Dies entspricht allerdings dem Trend und ist kein Phänomen des Gutes; 2010 erreichte Merlot auf Spitzenchâteaus beider Ufer teilweise Graduierungen von deutlich über 15,0%Vol.

Händlerfüllungen

Bis in die Sechzigerjahre und teilweise länger wurden die Weine der Bordelais, vor allem am rechten Ufer, fassweise an Händler verkauft, die den Wein dann selbst füllten. Das historisch gewachsene System, den Wein nicht direkt an Verbraucher oder den Einzelhandel abzusetzen, sondern über Négociants, ist auch heute noch intakt, wenn auch längst nur noch Flaschen gehandelt werden. Historisch bekannt sind die „Van der Meulen“- Füllungen, etwa des legendären Cheval Blanc 1947.

Das dornroschen 2Derartige Flascheninhalte werden oft als „süßer“ und farbdichter beschrieben. Wurden die „blasseren“ Burgunder gerne farblich „gestärkt“ und mit kleinen Mengen Syrah von der Rhone versetzt („hermitagiert“!), kam in der Bordelais eher Portwein zum Einsatz.

Die Beigabe ist bei langen Lagerhorizonten nicht unbedingt von Nachteil und historisch gewachsen. Heute würde man wohl sagen: „Pimp up your wine!“ Gefälschte Altweine gibt es natürlich sonder Zahl; die Authentizität ist auch für Experten schwer zu beurteilen, wobei ich mich neben dem Geschmacksbild, Füllstand und Etikett auch am Korken orientiere.

Bright Stars: 1959, 1961

Selbst bestgepflegte Händlerfüllungen erreichen nach meiner Erfahrung selten die Qualität von Château-Füllungen (etwa beim Kultwein Petrus 1947, vgl. Quintessenz 02/2012). Auch die zwei parallel verkosteten „L‘Eglise Clinet 1970“-Flaschen folgten diesem Schema: Die Château-Füllung war fehlerfrei, nicht so die Négociant-Füllung von Jean Nony. Bei der großen Vertikalverkostung im November des Vorjahres waren aber gerade zwei gereifte Händlerfüllungen die Superstars: Jahrgang 1961, gefüllt von A. & R. Barrière Frères, und die fabulöse 1959er-Flasche, gefüllt von Hanappier Peyrelongue & Co. Ich hatte die Ehre, die beiden Flaschen zu kommentieren und meiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen (vgl. Kostnotizen). War 1961 schon fabulös, bot 1959 das Ideal gereiften Pomerols am Olymp des Vorstellbaren, für mich zweifellos mit „5 Glä- sern“ oder 100/100 Punken zu bewerten. Auch die weiteren Verkoster und Kommentatoren, darunter Serena Sutcliffe und David Peppercorn, waren begeistert. Letzterer greift auf einen großen Erfahrungsschatz zurück, hat er doch seit 1961 kein „En Primeur Tasting“ versäumt.

Der Zeit ihre Kunst, dem Wein seine Zeit!

Das dornroschen 3L‘Eglise Clinet liegt mit an der Leistungsspitze der Pomerols; es verbindet nämlich die ältesten Rebstöcke und die enormen Qualitätsansprü- che eines kreativen Familienbetriebes. Die Preise sind gehoben, aber deutlich unter Petrus, wo 2009 und 2010 zweifellos richtungsweisende Weine mit Höchstnoten kreiert wurden. Abgesehen davon, dass sich daran in vielen Fällen erst die nächste Generation delektieren wird, bekommen Sie dafür etwa zehn Flaschen L‘Eglise Clinet, wobei nach dem Befinden unseres „Prinzen Parker“ 5 von 100 Punkten dazwischenliegen.

Leider schlummern kaum noch Dornröschen in der Bordelais, zu transparent ist die schöne neue Weinwelt. Ausgenommen kleinerer Jahrgänge (z.B. 2001, 2002) ist eine Flaschenreife von zumindest 15Jahren notwendig, bevor der Wein beginnt, seine Komplexität preiszugeben (1998 benötigt kraft seiner Tanninstruktur noch länger). Aber wir predigen ja ohnehin ohne Unterlass: ceterum censeo vinum non delendam esse.