Cyclamen purpurascens! Meine Geruchs-Assoziation kam diesmal zeitverzögert. Als sich dieser Wein im Glas langsam öffnete, nahm ich den prachtvollen floralen Hauch kurz wahr. Und nun hier wieder im Thayatal: Die wilden Alpenveilchen parfümierten den ganzen Wald, was für eine Katharsis! Dieser Dominus alten Stils, bei dessen Evolution sich der am Etikett von Jim Dine abgebildete junge „Herr der Trauben“ Christian Moueix noch nicht vor zu viel Tannin fürchtete, lebt von seiner konzentrierten Frucht (mehr Viola-Kirsche als Cassis), die frech ins Würzig-Vegetabile gleitet, ohne Gedanken an mangelnde Reife aufkeimen zu lassen. Salzige Mineralität und frische Pikanz vervollständigen das ungetrübt jugendliche Gesamtkunstwerk. Die Trauben (erstmals als Cuvée mit 80 % Cabernet Sauvignon, Merlot und Cabernet franc gefüllt) reiften am vulkanischen Napanook Vineyard in einem lauen Sommer, in dem die Temperaturen nur drei Mal 100 °F (ca. 38 °C) überschritten. Die kühle, finessenreiche Aromatik puffert die überwältigende Dichte perfekt; das ist wahre Balance!
Die Visionen von J. R. R. Tolkien beflügeln nicht nur Fantasien (Aufs nebelverhangene Assisi blickend, fragte einst einer meiner Söhne: Papa, ist das Gondor?), sie sind auch eine Metapher für unser Schicksal. Der maßlosen Gier der einen wird wegen der Gleichgültigkeit der anderen fast alles geopfert, beispielhaft die letzten Nashörner und Elefanten Afrikas. Wir alle schmieden gerade unsere Zukunft: „Einen Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, / Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.“ Ist das unser Weg? Tolkiens Elfenkönigin verkündet: „Selbst der Kleinste vermag den Lauf des Schicksals zu verändern.“ Es hängt an jedem Einzelnen.
Unweit von Wien in Schöngrabern befindet sich eines der interessantesten romanischen Kunstwerke dieser Welt. Die Figuren einer „steinernen Bibel“ ringen um das Gute. Erheben wir also das Glas: Ja, wir hatten immer schon die Wahl, auf zur Wallstatt Dagor Dagorath!