Als die Flasche jüngst nahe ihres Ursprungs (im Kaiser zu Krems – nomen est omen) nach einem Vierteljahrhundert geöffnet wurde, war dies ein „privates Weltereignis“, wie Alfred Polgar jene Vorkommnisse beschrieb, deren Bedeutung nur die Anwesenden erkennen können. Die Komplexität und Vielschichtigkeit sind beinahe unbeschreiblich: Exotik, Würze, Blüten – all das eingebettet in eine salzige, labende Textur, die ewige Jugend gepachtet hat. Innerhalb dieser Vielfalt ringen die betörten, überforderten Sinne nach Orientierung und finden ein Rückgrat aus reintönigem Himbeer-Destillat, das jeden Rotwein erblassen lässt.
Bei so viel Überschwang gleiten meine Gedanken zu Beethoven. „Mein Engel, mein Alles, mein Ich …“, so beginnt Ludwig trinitarisch seinen Brief an die „unsterbliche Geliebte“. Transzendenz, Totalität, Symbiose, höher kann man kaum greifen (Joachim Reiber im großartigen Buch „Duett zu Dritt“). Beethoven trank zu viel schlechten (bleihaltigen) Wein; aber sein Genie ließ sich weder durch Taubheit noch durch Verzicht bändigen. Der wohl nie abgesandte Brief (gefunden post mortem in einer Schreibtisch-Geheimlade im Wiener Schwarzspanierhaus), mit Bleistift auf zehn Seiten gekritzelt, will der Nachwelt vielleicht zeigen, wie erzwungene (oder selbst gewählte) Distanz explosive Triebenergie schafft und sich in revolutionärem Musikschaffen entlädt. Dieser Mann war nur seinem Werk verpflichtet und wählte für seine verbale Spiegelung niemand anderen als „den, den man den Größten nennt“. Wir können es ihm nicht verübeln. Staunend lauscht die ganze Welt seiner Hymne mit Schillers visionären Worten: „… Freude sprudelt in Pokalen; / in der Traube goldnem Blut / trinken Sanftmut Kannibalen, / die Verzweiflung Heldenmut …“ Erheben wir das Glas mit unserem goldenen Wein: Oh Europa, bei Salamis und Marathon wurde das Abendland gerettet, in Athen wird es nicht untergehen!