… ist nicht der monumentalste Jahrgang (wie 1961) oder der archetypische Klassiker (1982) dieses herausragenden Chateaus, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die konstanteste Qualität der Bordelais erzeugte, aber unwiderstehlich durch seine schmeichelnde, malzige Süße. Unser Wein ist nicht sprichwörtlich „hart wie ein Latour“, sondern beinahe seidig. Die Struktur ist aber im Gegensatz zu anderen großen 1959ern, bei denen Tannine und Frucht bereits hinwegschmelzen, intakt und die „Rumtopfigkeit“ des überheißen Jahres ist nur mit einem sanften Hauch präsent. So bleiben Saftigkeit („rôti“) und Opulenz in seltener Balance.
Wir finden Trockenfrüchte, Maulbeere, Zedernholz, Kakao, Moos, komplexe Tiefe, all das gebettet auf animierend mineralischer Salzigkeit mit einem mystischen Flair von Asche. Diese Geruchsaura führt meine Gedanken zum englischen Romantiker Percy Bysshe Shelley, der 1822 im Golf von La Spezia ertrank und dessen Leichnam am Strand von Viareggio verbrannt wurde.
Der Augenzeuge Edward John Trelawny (nicht der ebenso anwesende Byron, der den Anblick nicht ertragen habe) schildert die Vorgänge detailgetreu: „… Nach Öl und Salz wurde mehr Wein über Shelleys sterbliche Überreste gegossen, als er zu Lebzeiten je getrunken hatte.“ Die solcherart gewonnene Asche wurde dann nach Rom gebracht und am protestantischen Friedhof mit dem gewünschten Vers geziert: Nothing of him that doth fade/But doth suffer a sea change/Into something rich and strange.
Diese Worte besingen (prophetisch) nicht nur seines Schöpfers stürmische Seele, sondern genauso trefflich die Wirrnisse eines schweifenden Geistes, der sich in unserem Weine verliert. Die letzten Depotreste wollen auf der Zunge nicht zergehen: Nicht nur in Louis Fourniers Gemälde trotzt Shelleys Antlitz den Flammen.