Beide Weine zählen zu den Besten ihres Jahrganges. Die perfekte 1945er-Flasche bot eine Geruchs- und Geschmacksfülle wie ein marokkanischer Souk und steigerte sich mit der Oxidation in eine heftige Expressivität. Ein Zufall führte Elias Canetti als Begleiter eines Filmteams nach Marrakesch, wo er die Atmosphäre und Geruchswelt skizzierte. Er fand die richtigen Worte – auch für unser
Wein-Erlebnis: „Eine wunderbar leuchtende, schwerflüssige Substanz bleibt in mir zurück und spottet der Worte.“ Das Materielle an dieser Substanz war fleischig, voll lebendiger Säure und pikanter Mineralität. Die abgründigen Noten (Goudron, Balsamik, Schweiß) und die würzig exotischen Komponenten (Kardamom, Maracuja) bildeten einen farbigen, unvergesslichen Spannungsbogen.
Diese Essenzen werden nach dem Genuss ohnehin (…) selbst von innen her angeglichen – durch diesen Vorgang allein lebt man (so Elias – und ich meine den modernen Künder von Masse und Macht). Der Libanese Khalil Gibran, auch ein Prophet des 20. Jahrhunderts, sprach oft von der Schönheit. Sie sei die Ewigkeit, die sich im Spiegel betrachte. Aber die Ewigkeit seid ihr und ihr seid der Spiegel. Dazu passt der zweite Wein. Der klare 1982er bietet die vielleicht reinste Ausformung von „Cassis“, die ich mir vorstellen kann. Vollreifer Cabernet findet so seine Vollendung, also seinen Spiegel, pur, extraktsüß, labend – ohne große Ablenkungen, zart untermalt von Zedernholz-Noten und feiner Tabak-Würze.
Navid Kermani, eben wieder ausgezeichnet, schreibt, dass er auf seinen Reisen in den Orient immer wieder erfahre, dass Europa für Flüchtlinge als Utopie tauge. Schließlich habe sich Europa nach zwei Welt kriegen neu erschaffen. Europas Umgang mit den Flüchtlingen sei dabei zwar unpolitisch, aber beglückend. Wollen wir darauf die Gläser erheben?