Sassicaia – ein Bordeaux aus Italien?

Welcher Wein aus überwiegend internationalen Traubensorten (in Abgrenzung zu den autochthonen Gewächsen Nebbiolo und Sangiovese) ist Italiens Bester?

Um diese Krone, oder sollte ich im Hinblick auf das unverkennbare Etikett sagen, um diesen Stern rittern final Sassicaia und Solaia. Während also diese beiden berühmten „-aia“-Weine um die Krone rittern, spielen nach meiner Erfahrung ein dritter berühmter „-aia“- Wein, der Ornellaia, sowie all die anderen „Super Tuscans“ nur eine Nebenrolle. Beide Spitzenweine bestehen großteils aus Cabernet Sauvignon.

Sassicaia italiaWährend Antinori seinem Solaia meist 20 % Sangiovese (und einen Hauch Cabernet franc) beimischt, besteht der Sassicaia ausschließlich aus Cabernet Sauvignon und Cabernet franc. Die Tenuta San Guido hält sich, unabhängig von Jahrgangsergebnissen, „sklavisch“ an folgenden Blend: Bis einschließlich 1993 bestand Sassicaia aus 70 % Cabernet Sauvignon und 30 % Cabernet franc, seit 1994 sind es 85 % Cabernet Sauvignon und 15 % Cabernet franc.

Die Tenuta San Guido hält sich, unabhängig von Jahrgangsergebnissen, „sklavisch“ an folgenden Blend: Bis einschließlich 1993 bestand Sassicaia aus 70% Cabernet Sauvignon und 30% Cabernet franc, seit 1994 sind es 85% Cabernet Sauvignon und 15% Cabernet franc. Während der Solaia seit 1978 gekeltert wird, gibt es Sassicaia ab dem Jahrgang 1968 im Handel (vorher jahrzehntelang für den Privatkonsum der Eigentümer), ausgenommen die schlechten Jahrgänge 1969 und 1973. Ursprünglich als VdT (Vino di Tavola) qualifiziert, firmiert der Wein seit 1994 als DOC Bolgheri, wo er als einziger italienischer Sortenwein über die Subappellation „DOC Bolgheri Sassicaia“ verfügt.

Stein.pur

Sassicaia italia 1Der nobel klingende Name „Sassicaia“ stammt aus dem toskanischen Dialekt und heißt nichts anderes als „steinerner Grund“. Wieder einmal bewahrheitet sich, dass der größte Wein nicht im Überfluss, sondern aus Kargheit entsteht. In den 1920er Jahren des vorigen Jahrhunderts träumte Marchese Mario Incisa della Rocchetta, gemäß dem Ideal seiner Zeit, von einem italienischen Wein im Bordeaux-Stil. Jahre später ließ er Taten auf seine Träume folgen und erwarb die Tenuta San Guido an der tyrrhenischen Küste und begann, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Weinbau zu betreiben. Das Gut ist in Bolgheri, einem Ortsteil von Castagneto Carducci in der Provinz Livorno, gelegen. Der Ortsname bezieht sich auf jene „Bulgaren“, die im Ort einst als Unterstützung für die Langobarden stationiert waren. Bolgheri ist ein Hauptort der italienischen Weinkultur, da hier auch die Tenuta dell‘Ornellaia gelegen ist, deren Kreationen ebenfalls ausschließlich aus Bordeaux-Sorten verschiedener Zusammensetzung (CS, Merlot, CF und Petit Verdot) bestehen.

Italienische Legende

Marchese Marios Schaffensperiode reichte bis zum Jahrgang 1983; seither ist in zweiter Generation Nicolo Incisa della Rocchetta der Herr der Sterne. Der 1985er galt viele Jahre als einer der ganz wenigen 100-Parker-Punkte-Weine Italiens (neben dem beispielhaften Barolo Monfortino 1971 von Giacomo Conterno). Wie viele Erzeugnisse der „toskanischen Wein-Renaissance” ist auch Sassicaias Genesis untrennbar mit dem legendären Önologen Giacomo Tachis verbunden, der von Anfang an mehr als 40 Jahre für die Tenuta tätig war. Die Trauben stammen von Weingärten, die 1965 ausgepflanzt wurden; das Durchschnittsalter der Rebstöcke liegt derzeit bei ca. 30 Jahren. Vorher experimentierte die Tenuta auf einem höher gelegenen Gebiet. Die tiefere Lage (ca. 200–300m Seehöhe) erwies sich für die Cabernet-Reife als idealer.

Die Trauben werden in Stahltanks vergoren und reifen dann 24 Monate im Barrique (französische Eiche), davon ein Drittel neu. Das Gut bewirtschaftet insgesamt 90 ha, wobei der Ertrag mit etwa 55hl/ha relativ hoch ist. Gelegentlich wird moniert, dass die Produktion gegenüber den legendären 1980er Jahren massiv gestiegen sei. Immerhin werden derzeit etwa 180.000 Flaschen Sassicaia jährlich gefüllt. Will man der sehr guten Homepage, auf der jeder Wein exakt beschrieben ist, glauben, verzichten die Weinmacher darauf, den Blend den Jahrgangsergebnissen anzupassen. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, Sassicaia sei nun ein fast sortenreiner Cabernet Sauvignon mit einem Pep an Würze und Exotik durch einen kräftigen Schuss Cabernet franc (der nach den meisten nationalen Weingesetzen nicht deklariert werden müsste).

Verkostungseindrücke

Sassicaia italia 2Das Geschmacksprofil des in südlichen Gefilden gereiften Cabernets ist nicht mit den Geschwistern aus der Bordelais vergleichbar; mit der Reife nähern sie sich aber einander an, vor allem wenn der Jahrgang nicht „ allzu heiß“, sondern gerade warm genug war, um die Trauben ausreifen zu lassen. Besonders überraschte mich die Eleganz der „kühleren“ Jahrgänge, allen voran 1977, aber auch 1991 und 1995. Die Weine präsentierten sich mit feiner Würze, wohingegen die Produkte heißer Jahrgänge verhältnismäßig rasch in die tertiär bestimmte „Tabakausformung“ des Cabernets weisen. Verlassen Sie sich daher nicht auf „Jahrgangswertungen“ oder „Trinkreifetabellen“: Kosten Sie selbst! Die warme Sassicaia-Aromatik ist „süß und labend“, keine Frage, aber dürfen „Weltklasse-Weine“ nach 20 Jahren derartig terti- är bestimmt sein? Ich kenne kaum jemanden, der von einer perfekten Flasche des legendä- ren „1985er“ zu berichten weiß; auch meine diesbezüglichen Proben waren bereits vor knapp 10 Jahren saftig, aber „überreif“. Im Wiener Palais Coburg hatte ich 2005 die Gelegenheit, parallel eine Magnum und zwei Einzelflaschen zu gustieren, wobei sämtliche Proben jene Eleganz missen ließen, die ich von einem ganz großen Wein erwarte.

Minze.pur

Sassicaia italia 31977 war hingegen der eleganteste „Italiener“, den ich überhaupt je getrunken habe. Erst nach geraumer Zeit gab dieser Wein sein Geheimnis preis und eine pure, florale Minze betörte alle Verkoster. Dieses „Bouquet“ sollte einer perfekten und jugendlich gebliebenen Flasche Mouton 1945 entströ- men (tut es aber nicht immer). Hugh Johnson publizierte mehrfach, dass im Jahrgang 1975 kein Bordeaux mit dem Sassicaia mithalten könne. Leider durfte ich dies noch nicht verifizieren, wobei ich den La Mission Haut-Brion ins „Duell“ schicken würde. Mit diesen Weinen gingen die Träume des Marchese Mario, zumindest für jene Nachkommen, in Erfüllung, die die Geduld hatten, die glorreiche Entwicklung der teilweise unterschätzten Jahrgänge abzuwarten. Ceterum censeo vinum non delendam esse.

Sassicaia.pur

Im März 2013 wurde von Gunnar Grässl (Buch- und Weinhändler in Wien) eine Vertikalverkostung im „Le Ciel“ organisiert. Für wein.pur war Wolfgang Kiechl dabei. Die Beschreibung des 1985ers fließt aus früheren Verkostungen unseres Redakteurs ein.

Sassicaia.pur

Im März 2013 wurde von Gunnar Grässl (Buch- und Weinhändler in Wien) eine Vertikalverkostung im „Le Ciel“ organisiert. Für wein.pur war Wolfgang Kiechl dabei. Die Beschreibung des 1985ers fließt aus früheren Verkostungen unseres Redakteurs ein.

1977 Sassicaia
Welch großer Wein, welch Flaschenglück! Zuerst steigen florale Noten auf. Dahinter ein sanfter Vanille-Ton und feine Würzigkeit. Verspielt und geradezu flamboyant. Weicher Trinkgenuss, elegant und beinahe leichtgewichtig. Bei all dem ein süßer Kern. Überraschend ist die Nachverkostung nach mehreren Stunden: Der Wein legte gewaltig zu und hat nun eine herrliche Minz-Note. Wurde von uns „blind“ wesentlich jünger eingeschätzt.

1985 Sassicaia
Reife Würze: Dabei bereits Tertiär-Aromen nach Laub, Unterholz, Tabak. Kippt allerdings nicht im Glas, sondern wird eher präziser. Auffallend sind die Opulenz sowie die geschmeidigen und trotzdem autoritär wirkenden Tannine. Stabile Säure. Der Wein ist sehr labend, physiologisch aber bereits allzu weit. Zuletzt auch von Parker herabgestuft auf 97 Punkte (die 100-Parker-Punkte-Wertung
stammte von 1997).

1988 Sassicaia
Sehr komplex und charakterstark, vielfältige Aromen nach Menthol, Roter Ribisel, Vanille und gut eingebundenen Tertiär-Aromen (Tabak). Samtig, dabei aber trotzdem griffig und präsent. Jugendlicher als sämtliche von mir bislang verkosteten 1985er Flaschen.

1990 Sassicaia
Dieser große Wein schwelgt bereits in tertiärer Fülle. Von starken Tabak-Tönen (Sassicaiatypisch für die Reife) geprägt, erinnert er mich an den 1985er.
Er ist süß, lang, hat marmeladige, fordernde Tannine und ist druckvoll genug. Im Hintergrund steigt Mineralität (Feuerstein) auf. Der Wein ist bereits weit entwickelt und über dem Zenit.

1991 Sassicaia
Die Überraschung aus einem durchschnittlichen Jahrgang: florale Anklänge, „Cassis-Schmelz“, sehr expressiv, später Menthol, Kautabak. Auch vom Weingut selbst unterschätzt, da man ihm bei der Füllung nur „wenige Jahre“ gab. Die Tannin-Reife erweist sich als beachtlich. In der Balance; nicht so konzentriert wie 1990, aber mit ausreichend Körper.

1992 Sassicaia
Auch aus diesem „kleinen Jahrgang“ wieder ein verspielter Wein: rotbeerig, Röstaromen, Gewürze, vegetabile (nicht störende) Noten. Selbst in diesem Jahr eine gewisse „süße Balance“. Zweifellos allzu leichtgewichtig, aber spannend.

1993 Sassicaia
Gilt als durchschnittlicher „klassischer“ Jahrgang. Im Vordergrund ist hier die Cabernet Expression (Cassis, Schwarze Johannisbeere). Saftig, dabei ein spürbarer vegetabiler Kern. „Heftige“ Säure,
nicht allzu komplex.

1995 Sassicaia
Ein passables Jahr mit guter Wasserversorgung. 12,3 % Alkohol! Das ist für mich Cabernet in einer klaren, feinen Expression: saftig, druckvoll, sanfte Vegetabilität. Leichte Röstaromen. Jugendliche Frische. Zeitlose Eleganz, wenn auch nicht extrem körperreich.

1996 Sassicaia
Die relativ späte Ernte bewährte sich: superreife Seidentannine. Schöner Trinkfluss. Eleganter Duft nach Tee und Johannisbeere. Etwas weniger dicht als die großen Jahrgänge.

1998 Sassicaia
Sehr trocken, kein Regen vom 15. Mai bis September. Wirkt auch etwas „stringent“. Weichselschale, integrierte Bittertöne. Extrem wuchtig und körperreich. Steht noch am Beginn seiner Entwicklung, sodass noch keine wirkliche Aussage möglich ist. Ob er wirklich der hochgejubelte Nachfolger des 1985ers wird, bezweifle ich allerdings. Derzeit von der Weltklasse weit entfernt.

1999 Sassicaia
Ein vielschichtiger, rassiger, mineralischer Wein: Vanilleschoten, rotbeerig (Ribisel). Man spürt die Kraft und das Potenzial.

2000 Sassicaia
Zweifellos große Länge bei einem süßen Kern. Es dominieren allerdings die (Mokka-)Röstaromen. Fast hat man den Eindruck, die Holzintegration sei noch im Gange. Etwas teeig.

2001 Sassicaia
Ein hervorragender Jahrgang. Bringt reife Tannine. Trotzdem saubere vegetabile Töne und Küchenkräuter. Sehr gute Struktur, auch ausreichend Säure. Später steigen Minze- und Tabak-Noten auf.

2002 Sassicaia
Ein „durchwachsenes“ Jahr im Weingarten. Die reife, aber hohe Säure ist gut integriert. Frische Würze, wieder Minze. Knackige, rustikale Tannine. Dabei eine beachtliche Süße.

2003 Sassicaia
Dickschalige Trauben im Hitzejahr! Das ist „gegrillter Cabernet“. Viel Gerbstoff. Dabei durchaus „mürbe“. Rustikale Würze. Grüne Oliven, Schwarzkirsche.

2004 Sassicaia
Es dominiert eine süße, karamellig unterlegte Kirsch-Fruchtigkeit. Kam bei manchen Verkostern nicht so gut an und wurde als „vordergründig“ bezeichnet. Dabei allerdings sehr konzentriert bei reifer Tanninstruktur. Geben wir ihm Zeit. Derzeit noch weit von den hohen internationalen Benotungen entfernt.

2005 Sassicaia
Die niedrigen Durchschnittstemperaturen von ca. 24 Grad im Juni und Juli taten dem Traubenmaterial offensichtlich gut. Ein idealtypischer Wein zur Trinkfreude: superweiche Tannine. Ein Ausbund an „Samtigkeit“, dabei im Kern genug Substanz, ausreichend Säure und sich andeutende Komplexität.

2006 Sassicaia
Fast die „Antithese“ des Jahrgangsvorgängers. Allzu dichte, noch ihrer Entwicklung harrende Tannine. Weichsel-Töne, Bitterstoffe, Röstaromen. Reden wir in 10 Jahren + weiter (hier fehlt aber wohl die Autorität von 1998 und 2004).