Tanz mit den Tanninen

„Monster‘s Ball 30th Anniversary“ könnte man den Vergleich von Bordeaux 1986 mit Kalifornien 1986 und 1985 auch nennen.

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Gruaud Larose (hier der historische Fasskeller) ist ein 2er Cru und bestellt 82 ha in St.-Julien. Großartig sind etwa die Jahrgänge 1986 und 2000.

Der Grundgedanke dieses Artikels ist es, reife, tanninintensive Jahrgänge der Alten und Neuen Welt parallel zu verkosten und in zweierlei Hinsicht zu analysieren: Sind die Kreszenzen bereits trinkfertig oder müssen wir auf den höchsten Genuss noch warten? Hier darf ich Entwarnung geben. Entgegen vieler publizierter Meinungen sind die Weine vergnüglich, teilweise samtig, mitunter leichtfüßig und verspielt. Die oft als „monströs“ beschriebenen Tannine haben ihre Struktur gefunden und sind nach dreißig Jahren weich genug. Welche Region wird die interessanteren Weine bieten? Der Vergleich „Bordeaux – Kalifornien“ war bei einigen bedeutenden Blindverkostungen in der Vergangenheit ja nicht immer erwartungsgemäß (bei der berühmten [Jungwein-]Probe von Steven Spurrier 1976 siegte etwa Stag‘s Leap 1973).

Bordeaux 1986

Ja, es gibt – selten, aber doch – solche Ernten, die qualitativ und quantitativ überragend sind! 1986 war in Bordeaux ein solcher Glücksfall. Winter und Frühjahr bis einschließlich April verliefen überdurchschnittlich kalt, danach erfolgte die Wachstumsphase sehr schnell. Der Sommer war, wie bei großen Jahrgängen fast immer, relativ trocken und heiß. Der geringe Niederschlag im September beeinträchtigte die Spitzenqualität der Frühsorten auf manchen Châteaus geringfügig, nicht jedoch den Cabernet Sauvignon, der in einem perfekten Oktober voll ausreifen konnte. Signifikante Winde sorgten für Durchlüftung und minderten das Fäulnis-Risiko. Die Ernte dauerte etwa auf Latour bis 16. Oktober. Es handelt sich also um einen „left bank vintage“; allerdings gefielen mir bei der Verkostung auch manche merlotlastige Weine vom Rechten Ufer teilweise ausgesprochen gut (z. B. L‘Eglise-Clinet oder Talbot). Zu perfektem Traubenmaterial kam beim Cabernet eine überdurchschnittliche „Dosis“ Tannin hinzu. Entscheidend ist allerdings, dass dieses üppige Tannin auch ursprünglich nichts „Grünes“ hatte, sondern trotz der Intensität voll ausgereift war. Nach dreißig Jahren kann man sagen, dass die Gerbstoffe nicht mehr auffällig sind, sondern innerhalb der Balance ihren Platz gefunden haben. Es gibt Bordeaux-Jahrgänge, bei denen das Tannin nach dreißig Jahren deutlich kerniger und weniger seidig wirkte (z. B. 1961!). Die besten Weine haben noch Potential für 10 bis 20 Jahre, grundsätzlich scheint allerdings bereits der Höhepunkt fast überall erreicht. Also worauf warten? Die Nase vorn hatten die üblichen Verdächtigen Lafite, Mouton, Léoville las Cases, aber auch überraschend Gruaud Larose und L‘Eglise-Clinet – alle in der Weltklasse angesiedelt. Bei Mouton sind die Flaschen allerdings sehr unterschiedlich und es gibt zugängliche Füllungen, aber auch „Verschlossene“. Etwas enttäuschend waren für mich Latour oder Haut-Brion (auf www.haut-brion.com wird der Wein in der Selbstanalyse als „empyreumatisch“ beschrieben), bei denen mir die Tanninstruktur „zu spröde“war.

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Der Vergleich von Alter und Neuer Welt ergab deutliche Vorteile für Bordeaux.

Kalifornien 1986 und 1985

Hier haben wir Weine aus zwei Jahrgängen verkostet, da 1986 nicht gerade als grandioser Jahrgang in Sonoma und Napa gilt. Sommer und Herbst waren zwar passabel, aber aus welchen Gründen auch immer, war die Konzentration in den meisten Weinen nicht überragend und auch bei unserer Probe zeigte sich, dass deutlich mehr als die Hälfte der Weine schon weit über dem Zenit und müde ist. 1985 hingegen bot bessere Voraussetzungen und ist daher eher vergleichbar mit den Bordeaux-Brüdern von 1986. Den Weinen tat das Gefälle zwischen warmen Tagen und kühlen Nächten gut und der kühle, aber nicht regenreiche August wurde durch einen sonnigen September kompensiert. Die Balance von Säure und Zuckergraden führte zu einigen glorreichen Cabernets. Das britische Magazin „Decanter“ beschreibt dies in seinem „vintage guide“ mit „incremental maturity, rarely encountered in California“. Tatsächlich war die Durchschnittsqualität der Weine 1985 deutlich besser als 1986 und es zeigten sich auch noch viele Basisweine („for a few dollars more“ mit einem ursprünglichen Preis um die 15 Dollar) durchaus erfreulich.

Bordeaux gegen Kalifornien

Wir waren bei unseren Proben natürlich auf das Angebot angewiesen und hatten bei den Kaliforniern des Jahrganges 1985 – im Unterschied zu 1986 – kaum Topweine in der Verkostung. Grundsätzlich zeigten sich Dominus Estate, Joseph Phelps Insignia und Opus One als Essenzen, die mit den besten Bordeaux mithalten konnten, alle anderen Erzeuger nicht. Der Vergleich von Alter und Neuer Welt ergab deutliche Vorteile für Bordeaux. In der Feinabstufung reihe ich, natürlich ausgehend von den jeweils konkret verkosteten Flaschen, Lafite 1986 vorn, knapp dahinter sehe ich Dominus 1986 gleichauf mit den oben bereits zitierten besten Bordeaux. Die Herkunft der Weine war relativ leicht zu bestimmen. Die Bordeaux-Weine hatten meist eine saftige, samtige „Fülle“ mit unaufdringlicher
Eleganz; die Übersee-Weine waren im guten Segment oft floral und exotisch mit klarer Cabernet-Expression, im schlechten Segment hingegen extrem, abgründig, jodig und tertiär bestimmt. Sowohl
im Topsegment als auch besonders im Durchschnittsbereich hatte die Alte Welt diesmal also die Nase vorn.

Verfügbarkeit & Keller-Strategie

Kalifornische Weine der verkosteten Jahrgänge sind rar, aber wenn sie auftauchen, oft zu vernünftigen Preisen zu erstehen. Dabei ist allerdings große Vorsicht geboten. Unsere Proben stammen aus perfekten bis guten Lagerbedingungen und schwankten trotzdem sehr. Die Kellertechnik war 1985 im Golden State bei Weitem nicht überall auf dem heute üblichen Standard. Bordeaux-Weine aus 1986 haben zwar ihren Preis, sind aber – gut gelagert – fast durchgehend in einem erfreulichen Entwicklungsstadium zu trinken. Gruaud Larose oder Talbot sind beispielhaft fantastische Festtagsweine sowie Speisenbegleiter und sollten aus seriöser Quelle um ca. € 150,– verfügbar sein. Meine Leser wissen ja, dass nur ausreichend gereifte Weine vollendeten Genuss bieten. Bei großen Bordeaux-Jahrgängen alten Stils dauert die erforderliche Entwicklungszeit in der Flasche Jahrzehnte. Ceterum censeo,vinum non delendam esse.

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Die Mehrzahl der Flaschen kalifornischer Weine von 1986 ist bereits über dem Zenit.

Bordeaux 1986 und Kalifornien 1986 & 1985.pur

Das Verkostungsjahr war 2016. Es wurden zwei Verkostungen – eine veranstaltet von Martin Buttinger (www.vin.at) im Wiener Restaurant „Schnattl“ und eine zweite ebenfalls in Wien veranstaltet vom Palais Coburg (California 1985) – verarbeitet. Manche Flaschen wurden von wein.pur-Autor Wolfgang Kiechl früher verkostet, enthalten dann allerdings einen Hinweis. Auffallend sind die „Flaschen-Schwankungen“ bei Mouton. Mit Tipps versehen sind nur Topweine, die nach Meinung des Autors „5 Gläser“ verdienen würden (> 95 / 100 Punkten). Die Listung der Weine erfolgt in den drei Themengruppen: „Bordeaux 1986“, „California 1986“ und „1985 alphabetisch“.

Bordeaux 1986

1986 Château L‘Arrosée
Gut balanciert, florale Noten, Cassis, klar, kaum tertiäre Anklänge, mittelgewichtig.

1986 Château Gruaud Larose
Eine Überraschung. Elegant und komplex. Johannisbeere, rosenduftig! Mineralität (angenehm salzig). Fleischig und dicht. Trinkfertig und sehr balanciert. Dabei jugendlich.

1986 Château Haut-Brion (Zuletzt verkostet vor 5 Jahren.)
Extravagant. Vegetabile Töne. Schwarzkohle („empyreumatisch“). Kernige Tannine. Im Vergleich zu anderen großen 86ern etwas „spröde“ (over-extracted?) und nicht auffallend komplex.

1986 Château La Mission Haut-Brion (Zuletzt verkostet vor 4 Jahren.)
Dicht, aber schon mürbe und trinkfertig. Likörige Süße. Metallische Mineralität.

1986 Château Lafite Rothschild
Der beste Wein der Verkostungs-Serie. Mineralisch: tintig, Graphit. Sehr rund, extrakt reich, dicht gewoben. Cassis-Kern. Tannine wirken sehr samtig und rund. Bereits angenehm trinkbar und nahe dem Zenit. Die Kostnotiz deckt sich mit früheren Proben.

1986 Château Lafleur
Primärfrucht nach Weichsel und Weichselschale, eher rustikal, Kautschuk-Anklänge, bereits weich in der Tanninstruktur. Süffig, fleischig, vergnüglich, aber nicht groß.

1986 Château Latour
Primäraromen nach Preiselbeeren. Sehr trocken bzw. „spröde“, adstringierend. Markanter Säuredruck. Tannine noch allzu „hart“. Nicht gerade elegant, aber autoritär.

1986 Château L‘Eglise-Clinet (Zuletzt verkostet vor 5 Jahren.)
Muskulös und dicht. Wirkt saftig und beinahe „fett“, dabei würzig und leicht vegetabil. Abgründige Eleganz, später floral: Pfingstrose! Charakterstark und nachhaltig!

1986 Château Léoville las Cases
Strukturiert, labend, Blutorange, später sogar Himbeer-Destillat, dann Tertiär-Selch-Aromatik. Interessant, engmaschig und charakterstark, aber m. E. doch von den einstigen 100-Parker-Punkten entfernt. Da fehlen mir Autorität und Eleganz.

1986 Château Lynch-Bages
Selch-Aromatik, Wacholderbeere, leicht sahnige Textur, dicht, Cassis, relativ weich.

1986 Château Margaux
Sehr klar und sauber, salzig unterlegt, fein und rosenduftig. Elegant, aber es fehlt der letzte Druck.

1986 Château Mouton Rothschild
1. Probe: Diesmal erstaunlich zugänglich, geradezu untypisch „samtig“. Wirkt fast mürbe. Cassis. Salzig unterlegt. Sicherlich makellos, in dieser Verfassung bereits jetzt trinkbar (und nicht erst 2080, wie René Gabriel schreibt). Insgesamt heute deutlich hinter Lafite.
2. Probe: „Harte Flasche“ (verkostet 2014): Erkennbar durch die monströse Tanninstruktur. Ein Verkoster meinte: „Da braucht man einen Büßergürtel.“ Klare, unverbrauchte Cabernet-Aromatik: Schwarze Johannisbeere, später Geranien, florale Anklänge, Graphit, Mineralität. Wirkt so, als ob der Höhepunkt in fernerer Zukunft liegen würde.

1986 Château Pichon Lalande
Klar, balanciert, kirschtönig, spürbare Mineralität, gut verwoben. Erfreulich und elegant. 1986 Château Talbot Viel Cassis, sahnig, fleischig, dicht genug, makellos, guter Trinkfluss.

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Eines der schönsten Mouton-Künstleretiketten stammt vom haitianischen Künstler Bernard Séjourné (1947 – 1994).

Kalifornien 1986

1986 Beringer Cabernet Private Reserve
Ein extremer Wein. Balsamisch: Blut. Abgründig. Lackig. Diesmal aber zumindest ein süßer liköriger Kern, der ihn noch genießbar macht.

1986 Dominus Estate
Extrem opak. Die dichteste Farbe des Abends. Vegetabil. Ätherisch. Salzig, flashig. Sehr feste Tannine, noch vor dem Höhepunkt. Druckvoll und jung. Groß!

1986 Dunn Cabernet Sauvignon Howell Mountain
Wieder diese typische jodige Meersalzigkeit, die offenbar in Kalifornien jahrgangstypisch ist, hier besser dosiert. Kautschuk, Balsamik und abgründig. Kirsch-Frucht noch präsent.

1986 Joseph Phelps Insignia
Sehr spannend: Rote Rübe, Himbeer-Frucht, druckvoll, sehr „laut” und expressiv. Blumig. Wirklich charakterstark, vielleicht etwas extrem.

1986 La Jota Cabernet Howell Mountain
Sehr dicht in der Farbe, opak. Kakaobohnen, mittelgewichtig, sehr weich.

1986 Opus One
Sehr stimmig: klare Frucht nach Schwarzer Johannisbeere, dabei blumig und expressiv im besten Sinn. Kernig und griffig. Sogar noch lagerbar.

1986 Ridge Monte Bello
Sehr weit entwickelt und zu extrem: Balsamik, Schlachthof, jodig im Sinn von penetrantem „Hafengeruch“. Deutlich über dem Zenit.

1986 Shafer Vineyards Cabernet Hillside Select
Sehr malzig und weich. Pflaumenweinig, physiologisch viel zu weit entwickelt.

1986 Stag‘s Leap Wine Cellars Stag‘s Leap Vineyard
Malolaktische Sahnigkeit, bereits allzu weich und gereift. Verwaschen.

1986 Sterling Vineyards Reserve (Bordeaux Blend)
Sehr flashig, beinahe kitschig: Kindergeburtstag, Himbeer-Zuckerwatte, florale Anklänge, später Cassis, mit Oxidation auch „Schwarzkohle“, relativ weich.

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Napas Weinstöcke stehen auf völlig unterschiedlichen Böden, da sich die Küsten Kaliforniens geologisch laufend neu formieren.

Kalifornien 1985 (Selektion der besten Weine
aus ca. 20 Proben)

1985 Caymus Cabernet Sauvignon
Erstaunlich rotbeerig, mit kühler Aromatik. Mittelgewichtig. Florale Eleganz. Salzig. Schwarze Johannisbeere, fast etwas „Burgundisches“.

1985 Caymus Cabernet Sauvignon Special Select
Dichter und länger als der „normale CS“. Himbeerig. Sehr süßer Kern. Saftig, dicht und konzentriert.

1985 Heitz Martha’s Vineyard
Zuerst schöne Eukalyptus- und Menthol-Nase. So etwas würde man sich bei Mouton oft wünschen! Schokoladig, druckvoll. Verliert im Glas und wird rasch selchig und abgründig.

1985 Joseph Phelps Insignia
Sehr schöne klare Würze: Maggikraut! Dicht, mineralisch, jugendlich, saftig. Lang und nachhaltig. Der beste der 85er-Serie.

1985 Robert Mondavi Special Reserve
Pflaumenweinig, relativ weich, Harz- und Zedernholz-Anklänge. Wirkt wie ein Pomerol. Bekömmlich und extravagant.

1985 Silver Oak Alexander Valley
Noch präsente Kirsch-Frucht, dabei würzig und rauchig, Zedernholz-Noten, schön balanciert, „kühlere Aromatik“ als der Napa Valley desselben Gutes (Folgewein).

1985 Silver Oak Napa Valley

Sehr rund, cremig und füllig. Opulent, tintig. Das Holz ist sehr präsent, wirkt aber gut eingebunden.